Klimawandel regt zu Überlegungen an

Sven König, Institut für Tierzucht und Haustiergenetik, JLU Gießen


Hintergrundinformation

Die Auswirkungen des Klimawandels mit verheerenden Auswirkungen, insbesondere der Frühjahrs- und Frühsommertrockenheit auf die Grundfuttermenge und auch Grundfutterqualität, haben die milchkuhhaltenden Betriebe in den letzten Jahren vor große Herausforderungen gestellt. Diesbezügliche meteorologische Vorhersagemodelle mit prognostizierten kontinuierlichen Temperartursteigerungen weisen auf eine weitere zukünftige Verschärfung der Lage hin. Zusätzlich zur angespannten Futtersituation berichten sowohl Landwirte als auch Wissenschaftler von direkten unerwünschten Hitzestresseffekten auf Leistungsmerkmale und funktionale Merkmale (weibliche Fruchtbarkeit, Zellzahl in der Milch) der Milchkühe. Physiologen haben ermittelt, dass die Wohlfühltemperatur für hochleistende HF-Kühe im Bereich von 4° bis 16° Außentemperatur liegt und schon bei einer Außentemperatur von 25°C Hitzestress eintritt (bei hohem Luftfeuchtegehalt noch eher). Wenn in der Praxis dann nicht mit entsprechenden Managementmaßnahmen reagiert wird, wie Kühlung mittels Ventilatoren oder Sprinkleranalgen, dann sieht man die Kühe an heißen Tagen apathisch hechelnd an kühleren Plätzen im Stall stehen und die Futteraufnahme ist deutlich reduziert. Eine nachhaltige und langfristig einfache Lösung ist die Zucht hitzetoleranter Tiere. In heißen Klimaten in Afrika oder Südamerika werden vermehrt hitzetolerante Rassen verwendet, die spezielle Gene, beispielsweise für die Ausbildung des Haarkleides tragen, wie Carora- und Senepol-Rinder oder Girolanda als synthetische Rasse aus der Kreuzung mit Brahman. Allerdings wird in Deutschland niemand wirklich gewollt sein, Milchproduktion mit derartigen Rassen zu betreiben, denn der Betriebsgewinn in den meisten norddeutschen Produktionssystemen wird mit leistungsstarken, funktionalen und langlebigen HF-Tieren maximiert. Ziel muss daher sein, innerhalb der genetisch immer noch sehr breit aufgestellten HF-Population die Tiere zu identifizieren, die aufgrund ihrer genetischen Architektur am besten mit Stressbedingungen wie Hitzestress klarkommen. Allerdings ist Hitzestress direkt auf Basis innovativer Merkmale wie Respirationsraten, Enzymgehalten im Blut oder Hormonprofilen unter Praxisbedingungen nur schwierig und an einer geringen Tierzahl messbar. Die Landwirte dürfen nicht immer mehr mit der Erfassung weiterer neuer Zuchtmerkmale zusätzlich zu Routinearbeiten in den Betrieben überfrachtet werden. Deshalb muss ein praktikabler Ansatz für eine Zuchtwertschätzung Hitzetoleranz gefunden werden, der auf Merkmalen basiert, die aktuell schon an einer großen Tierzahl erfasst werden.

Die Idee einer Zuchtwertschätzung für Hitzetoleranz

Im Jahre 1998 wurde die offizielle Zuchtwertschätzung für Milchleistungsmerkmale mit dem sogenannten Testtagsmodell eingeführt. Das Testtagsmodell erlaubt die Schätzung von Zuchtwerten für Milch-kg, Fett-kg, Eiweiß-kg und Zellzahl zu jedem Laktationstag. Besamungsbullen bekommen somit Zuchtwerte für jedes dieser Merkmale für jeden Laktationstag von Tag 1 bis Tag 305 ausgewiesen. Genetischer Hintergrund ist, dass zu verschiedenen Zeitpunkten in der Laktation verschiedene Gene für das gleiche Merkmal ein- oder ausgeschaltet werden. Mittels dieser Vorgehensweise können Bullen mit guter Persistenz identifiziert werden, also beispielsweise Bullen, deren Milchzuchtwerte am Ende der Laktation höher sind als zu Laktationsbeginn.

Genau dieses Konzept wird nun für die Hitzetoleranzzuchtwertschätzung erweitert. Zusätzlich zum Zeiteinfluss „Tage in Milch“ wird jetzt auch ein kontinuierlicher Klimaumweltdeskriptor genutzt, nämlich der sogenannte Temperatur-Luftfeuchte-Index (THI).

Der THI kombiniert engmaschig erfasste Temperaturen und Luftfeuchten, am besten direkt im Stall erfasste Messgrößen, da offizielle Wetterstationen teilweise zu weit von entfernt sind und nicht unbedingt das tatsächliche Stallklima abbilden. Nun werden die Zuchtwerte für u. a. Milch-kg von Bullen und Kühen nicht nur auf der Zeitskala, sondern auch auf der Umweltskala analysiert.

Robuste oder hitzetolerante Bullen haben dann stabil hohe Milchzuchtwerte, sowohl unter „Wohlfühlbedingungen“ als auch bei Hitzestress. Merkmalsreaktionen können umso genauer abgebildet werden, je engmaschiger die Merkmale und die Klimadaten erfasst werden. Klimastalldatenlogger ermöglichen die Messungen von Temperatur und Luftfeuchte in nur 1-minütigen Abständen, welche dann im Idealfall mit jeder Melkung einer Kuh im Melkroboter zusammengespielt werden. Weiterführend soll nicht nur die Reaktion der Milchzuchtwerte auf Klima analysiert werden, sondern auch weitere funktionale Merkmale wie Zellzahl, Merkmale der weiblichen Fruchtbarkeit und auch Gesundheitsmerkmale, für welche insbesondere in den Testherden der Rinderallianz eine hohe Datenqualität gegeben ist. Da für verschiedene Merkmale unterschiedliche Zuchtwertreaktionen des jeweiligen Tieres zu erwarten sind, müssen final die merkmalsspezifischen Einzelzuchtwerte in einem Gesamtzuchtwert „Hitzetoleranz“ kombiniert werden. Abbildung 1 zeigt die genomischen Mastitiszuchtwerte für 3 Bullen (sire A, sire B und sire C) auf der THI-Skala. Ich als milchkuhhaltender Betriebsleiter würde den blauen Bullen, also sire A, auswählen. Dieser Bulle ist robust und hitzetolerant, denn er hat wenig euterkranke Töchter bzw. durchweg hohe Mastitiszuchtwerte über den gesamten Klimabereich hinweg. Sire B funktioniert nur besser als die Vergleichsbullen, wenn „es kalt ist“, und sire C, wenn „es Richtung Hitzestress geht“.

Abbildung 1: Genomische Zuchtwerte für klinische Mastitis für drei Bullen (Sire A, Sire B, Sire C) in Abhängigkeit des Temperatur-Luftfeuchte-Index (THI)

Aktuelle praktische Umsetzung, auch im Zuchtgebiet der RinderAllianz

Das hier aufgeführte Konzept wurde nun mit Unterstützung der deutschen Rinderzuchtverbände mit den Projektpartner vit Verden (Dr. Johannes Heise, Dr. Reinhard Reents) und der Justus-Liebig-Universität Gießen (Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Sven König) angegangen. Weitere Unterstützung, insbesondere bzgl. der Nutzung bereits aufbereiteter Gesundheitsdaten aus dem RA-Gebiet, leistet die AG von Prof. Dr. Hermann Swalve in Halle. Die Mitarbeiter der AG König sind gegenwärtig dabei, in ausgewählten Betrieben Datenlogger zur Erfassung des Stallklimas, insbesondere in Melkroboterbetrieben, zu installieren. Voraussetzung ist auch, dass die ausgewählten Betriebe ihre Kühe genotypisieren und Gesundheitsdaten erfassen, denn es sollen direkt genomische Zuchtwerte für Hitzetoleranz geschätzt werden. Der Datenumfang der deutschlandweit bereits besuchten Kuh-Visionsbetriebe mit Melkroboter umfasst bereits 6.150 Kühe aus 20 Betrieben, welche wertevolle Daten für die ZWS-Hitzetoleranz liefern. Für weitere 4.000 Kühe werden gegenwärtige Vorschlagslisten an Betrieben abgearbeitet. Insgesamt wird somit auf der Basis von 10.000 Kühen aus ca. 30 Projektbetrieben bereits für den ersten Sommer im Jahr 2023 kalkuliert. Im zweiten Sommer kommen dann automatisch weitere frisch abgekalbte Färsen hinzu (+3.000 weitere Färsen bei einer Remontierungsrate von 30 %), so dass eine weltweit einzigartige Datengrundlage für eine ZWS-Hitzetoleranz zur Verfügung steht. Projektpartner vit Verden wird prüfen, ob ähnliche Zuchtwerte für Hitzetoleranz geschätzt werden können, wenn Klimadaten der offiziellen Wetterstationen, die im Internet 20 Jahre rückwirkend abgespeichert sind, verwendet werden. Das würde dann zukünftig den Routineprozess einer Zuchtwertschätzung vereinfachen, da Daten der Stallklimalogger in regelmäßigen ca. 2-monatigen Abständen ausgelesen werden müssen. Dies hat aber eigentlich auch den Vorteil, dass immer ein enger Austausch zwischen den Unimitarbeitern und den Betriebsleitern gegeben ist, denn der Bezug zur und der Austausch vor Ort mit der Praxis darf nicht verloren gehen.

Auf alle Fälle wird, wenn alles planmäßig funktioniert, die deutsche Rinderzucht mit der Einführung der Zuchtwertschätzung Hitzetoleranz eine internationale Führungsrolle einnehmen. Am generellen Konzept sollte weitergearbeitet werden: Nicht immer nur darauf fokussieren, noch mehr Merkmale erfassen, sondern die Betriebsumwelt möglichst genau beschreiben, damit man den passenden Bullen für das jeweilige Klima oder die jeweilige Futtersituation zielgerichtet auswählen kann.

Mit uns an Ihrer Seite zu einer verbesserten Tiergesundheit

Sollten Sie Fragen rund um die Tiergesundheit Ihrer Herde haben, stehen wir Ihnen in den Bereichen

jederzeit gerne mit Rat und Tat zur Seite. Sprechen Sie uns an, wir verhelfen Ihnen gerne zu mehr Erfolg im Stall.

Den Originalartikel von Herrn Sven König, Institut für Tierzucht und  Haustiergenetik, „Ist Zucht auf Hitzetoleranz möglich?“ mit weiteren Informationen finden Sie hier.

Teilen Sie diese Seite